Blog von M. Baecher
…durch das «Dorf hinterm Dampfschiff»
«Das Dorf hinterm Dampfschiff» – so lautete das Motto der diesjährige Dorfführung mit Rolf Seger, zu der sich am Samstag, 23. August, wieder gut zwei Dutzend Interessierte aus Gottlieben und der Umgebung auf dem grossen Parkplatz vor dem Dorf besammelten. Es war bereits die siebte Führung dieser Art mit dem überaus engagierten Lokalhistoriker – und seine insgesamt fünfundzwanzigste! Und keine dieser Führungen ist wie die andere. Diesmal standen der Photograph Willy Müller, der 1934 bis 1967 in Gottlieben gelebt hat, und seine historischen Aufnahmen im Mittelpunkt.
Aus aktuellem Anlass: Wie mehrfach berichtet (Ausgaben der Gottlieber Nachrichten vom März und vom Mai 2025) hat sich Rolf Seger im letzten Jahr intensiv mit Willy Müller befasst und während rund drei Monaten ausdauernd in verschiedenen Quellen und Archiven nach Unterlagen über den Photographen und Aufnahmen von ihm gesucht. Erstmals vorgestellt hat er die umfangreichen Resultate seiner hartnäckigen Recherche anlässlich der Generalversammlung des Historischen Vereins am Seerhein. Auf dessen Webseite sind jetzt über 60 historische Aufnahmen von Willy Müller zugänglich: https://histvereinseerhein.ch/willy-mueller/
Gegenüberstellungen und neue Erkenntnisse
Eine Auswahl der historischen Aufnahmen jetzt auch im Rahmen der Dorfführung zu zeigen, hatte seinen besonderen Reiz, denn an den verschiedenen Stationen ermöglichten sie eine Gegenüberstellung zum heutigen Zustand. Ein eindrückliches Beispiel dafür: Das Haus «Zur Brugg» am Dorfeingang, das 1766 erbaut wurde, hat in jüngerer Zeit mit dem Einbau von Schaufenster im Erdgeschoss eine markante, wenig vorteilhafte Veränderung erfahren.
Doch nicht nur das: Rolf Seger vermittelt im Rahmen seiner Dorfführungen auch immer wieder neue Erkenntnisse, die er dank seiner unablässigen Recherchen in jüngster Zeit gewonnen hat. Eine besonders massgebliche ist jene, dass der Reformator Jan Hus zur Zeit des Konstanzer Konzils nicht in dem Blockgefängnis im Westturm des Schlosses gefangen gehalten worden sein kann, wie bisher immer angenommen und weitererzählt wurde. Im Rahmen der aktuellen Bestandesaufnahme des Schlosses durch das Amt für Archäologie des Kantons Thurgau hat sich aufgrund von dendrochronologischen Untersuchungen nämlich herausgestellt, dass der Brettverschlag (auf dem Bild in einer Aufnahme von Willy Müller) jüngeren Datums sein muss. Das ändert allerdings nichts an der Tatsache, dass der tschechische Reformator im Schloss Gottlieben eingekerkert war, nur eben nicht dort.
Ein weiterer aktueller Bezug: Zum Abschluss der diesjährigen Dorfführung zeigte Rolf Seger Bilder von massstabgetreuen 1:500-Modell von Gottlieben, das Svea Kappler im Rahmen ihrer Abschlussarbeit an der Sekundarschule erarbeitet hat (wir berichteten) – und wertete dies in Anbetracht solch grossartiger Leistung als Zeichen für eine hoffnungsvolle Zukunft.
Bleibt Rolf Seger für seine hervorragenden Führungen und sein stetes Engagement für Gottlieben und seine Geschichte herzlich zu danken.
Auf der Webseite des Historischen Vereins am Seerhein ist eine stichwortartige Zusammenfassung der bei der Dorfführung erwähnten Fakten zu finden: www.histvereinseerhein.ch/dorffuehrungen-gottlieben/.
Zum Motto der diesjährigen Dorfführung
«Das Dorf hinterm Dampfschiff» ist der Titel des Erzählbandes von Walter Vollenweider (1926–2016), der 2007 im Libelle Verlag erschienen ist und in dem er seine Kindheit in Gottlieben schildert, wo sein Vater Postenchef beim Schweizer Zoll war.
Nach dem Besuch des Lehrerseminars in Kreuzlingen studierte Walter Vollenweider Sprachen, Geschichte, Kunstgeschichte und Ethnologie, lebte zeitweise in Paris, London, München und arbeitete als Lehrer, Journalist und Autor in der Nähe von Basel.
Für den Umschlag des Buches von Walter Vollenweider wurde das Aquarell «Dampfschiff vor Gottlieben» von Fritz Mühlenweg aus dem Jahr 1947 verwendet.
Rolf Seger verwies mit einem weiteren Bild eines Dampfschiffes vor Gottlieben, jenes von Anton Bernhardsgrütter, auf die aktuelle Ausstellung unter dem Titel «Fürchterlich schöne Welt – Zwei 100-Jährige aus dem Thurgau» im Museum Rosenegg in Kreuzlingen hin, bei der neben dem Genannten auch Werke von Johannes Diem ausgestellt sind. Sie dauert noch bis zum 23. November.
Fotos: M. Baecher
