Blog von M. Bächer

Gottlieben hat beste Voraussetzungen für die thermische Seewassernutzung

Gross war das Interesse an den beiden Informationsveranstaltungen über die Machbarkeitsstudie zur Seewassernutzung für einen Wärmeverbund in Gottlieben. Dabei bestätigte sich, dass unser Dorf gute Voraussetzungen hat, um mit dieser zukunftsweisenden Wärmeversorgung zu einem rasch realisierbaren Musterprojekt mit Pioniercharakter zu werden.

Gemeindepräsident Paul Keller wies in seiner Begrüssung zu den beiden Infoveranstaltungen vom 14. und 19. September darauf hin, dass man vor über einem Jahr, als eine erste Machbarkeitsstudie, initiiert von der Drachenburg & Waaghaus AG im Rahmen der Planung der Gesamterneuerung, noch kaum eine Vorstellung gehabt hätte, wie schnell und in welchem Umfang die Thematik an Aktualität gewinnen würde. Die herrschende Energiekrise zeigt, welche Bedeutung eine nachhaltige, möglichst unabhängige und damit auch sichere Wärmeversorgung hat.

«Sorglospaket über Generationen»

In der Folge informierten die einzelnen Fachleute des Projektteams über die Erkenntnisse der von der Bürgergemeinde finanzierten, vertieften Machbarkeitsstudie, im Rahmen derer alle Gebäude in Gottlieben erfasst, die Bewilligungsfähigkeit des Vorhabens mit verschiedenen Ämtern und Verbänden abgeklärt und die Wirtschaftlichkeit untersucht worden sind.

Marcel Stofer, Bereichsleiter Gebäude und Produktion der federführenden EKT AG, wies darauf hin, dass mit der Seewassernutzung ein «Sorglospaket über Generationen» (die Wärmelieferung wird garantiert) möglich wird sowie ein geringes Kostenrisiko (anders als beispielsweise beim Gas) und ein kleiner Reinvestitionsbedarf besteht. Der See(rhein) liefert uns Energie, die unabhängig von fossilen Energien erzeugt wird. Der Strombedarf für die Pumpen usw. macht nur rund einen Drittel der Energie-Wertschöpfung aus. Oder anders ausgedrückt: mit 1 Kilowattstunde (KWh) Strom können 3 KWh Wärme produziert werden.

Je mehr sich anschliessen, desto günstiger wird es

Remo Niederöst (auf dem Bild 2 sitzend neben Marcel Stofer) von der in diesen Belangen sehr erfahrenen Contegra AG, die vor allem die technische Machbarkeit abgeklärt hat, gab zunächst eine Übersicht über den geplanten Wärmeverbund. Damit in erster Priorität erschlossen würde die Kernzone mit 100 Liegenschaften, darunter auch sogenannte Ankerkunden wie die beiden Mehrfamilienhäuser an der Weiher- und der Espenstrasse und die Überbauung Rietblick im Westen sowie Drachenburg & Waaghaus im Osten. Interessant wäre aber auch ein Anschluss der neun Mehrfamilienhäuser im Ochsengarten (auf Tägerwiler Gemeindegebiet). Ob die Erschliessung auch für die Liegenschaften am Rheinweg oder im weiteren Umkreis des Ochsengartens machbar wäre, hängt von der Anschlussdichte in den beiden prioritären Zonen ab. Im Prinzip gilt: Je mehr Liegenschaften angeschlossen werden, desto günstiger wird es. Remo Niederöst wies darauf hin, dass auch das Potential für weitere neue Liegenschaften in diesen Gebieten (so dies überhaupt möglich ist) bzw. für eine verdichtete Bauweise bestehen würde.

Warmes oder kaltes Netz?

Sodann erklärte er die Funktionsweise des Wärmeverbundes. Im Primärkreislauf wird dem See Wasser entnommen, in einem Wärmetauscher Wärme entzogen und wieder in den See(rhein) zurückgeleitet. In den (auch aus Sicherheitsgründen) davon unabhängigen Sekundär- und Tertiärkreisläufen wird entweder Wasser mittels Wärmepumpen in der Technikzentrale auf 65 bis 70 Grad erwärmt und über das Verteilnetz an die einzelnen Liegenschaften verteilt (warmes Netz) oder die Erwärmung wird mittels Wärmepumpen in den einzelnen Liegenschaften bewerkstelligt (kaltes Netz).

Beide Arten der Netze haben Vor- und Nachteile. Ein kaltes Netz ist etwas energieeffizienter, weil die Wärme nach individuellem Bedarf mit Wärmepumpen in den einzelnen Liegenschaften erzeugt wird, ermöglicht in beschränktem Mass auch Kühlung, benötigt aber eine grössere Wassermenge und entsprechend grosse Leitungsrohre. Ein warmes Netz kann dagegen mit kleineren Rohrdurchmessern gebaut werden und in den Liegenschaften braucht es nur eine platzsparende Übergabestation und keine Wärmepumpen (und damit kaum Investitionen). Der Wärmeverlust hält sich dank isolierten Rohren im Rahmen von maximal 10 Prozent. Der Entscheid darüber, welche Art des Netzes gebaut werden soll, ist noch offen. Die Tendenz geht für Gottlieben aber Richtung warmes Netz.

Technikzentrale neben Werftgebäude geplant

Die zweistöckige Technikzentrale mit Wasser- und Wärmepumpen ist westlich angebaut an die Werfthalle der Kibag Marina (vormals Brunnert-Grimm AG) geplant, ohne dass der dortige Weg um den Espenweiher verlegt oder Bäume gefällt werden müssten. Wegen des erhöhten Strombedarfs würde eine Anpassung der Trafostation an der Espenstrasse nötig, die gleichzeitig so ausgelegt werden könnte, dass auch eine schon früher diskutierte 2000 Quadratmeter grosse Photovoltaik-Anlage auf dem Werftgebäude angeschlossen werden könnte. Letztere ist aber nicht Gegenstand dieses Projektes.

Von der Technikzentrale soll die Seewasserleitung mit möglichst wenig Eingriffen in die Natur auf kürzestem Weg unter dem bestehenden Hafenbereich durch mittels einer sogenannten Horizontalspülbohrung bis zu einer Tiefe von 10 bis 13 Metern verlegt werden. Für das Problem der überhand nehmenden Quagga-Muscheln gibt es ein Eliminations- und Reinigungskonzept.

Und die Kosten?

Die Kosten für die einzelnen Liegenschaften setzen sich aus einmaligen Anschlusskosten (Anschlussgebühr und Kosten für Übergabestation und Umbau), einer jährlichen, von der Anschlussleistung abhängigen Grundgebühr sowie einem vom Wärmebezug abhängigen Arbeitspreis zusammen. Wer sich an den Wärmeverbund anschliesst, hat nicht nur Kosten, sondern bekommt vom Kanton auch Subventionen: für Ein- und Zweifamilienhäuser 8’000 Franken und für ein Mehrfamilienhaus 14’000 Franken. Bei einem Anschluss an das Wärmenetz ist im aktuellen Vollkostenvergleich mit Gestehungskosten von 22 bis 27 Rappen pro KWh zu rechnen, ähnlich wie bei individuellen Wärmepumpen mit Erdsonden (21 bis 28 Rappen). Mit einem solchen Wärmeverbund könnten pro Jahr rund 300’000 Liter Heizöl (oder die entsprechende Menge Gas) sowie rund 750 Tonnen CO2 eingespart werden, wie gesagt wurde.

Gründung einer Betreibergesellschaft vorgesehen

Im Rahmen der Machbarkeitsstudie wurden auch verschiedene Trägerschaftsmodelle betrachtet. Vorgeschlagen wird, dass eine Betriebsgesellschaft in Form einer AG gegründet wird, an der die EKT AG den grössten Anteil hat (und damit das unternehmerische Risiko trägt), gefolgt von der Bürgergemeinde und schliesslich der Politischen Gemeinde Gottlieben (womit das Mitspracherecht gewährleistet werden kann). Es wird von einem Aktienkapital von 1 bis 1,5 Mio. Franken ausgegangen, an dem die Gemeinde und die Bürgergemeinde mit einem Minderheitsanteil beteiligt wären. Über die Beteiligung der Gemeinde muss die Gemeindeversammlung befinden, ebenso wie bei der Bürgergemeinde. Die EKT AG, die zu 100 Prozent im Besitz des Kantons Thurgau ist, garantiert Sicherheit und Stabilität und verfügt über Erfahrung mit solchen Trägerschaftsmodellen. Gegenwärtig wird mit Investitionskosten von insgesamt 5 bis 6 Mio. Franken gerechnet, nach Abzug der Subventionen netto mit 4 Mio. Franken.

Wie geht es weiter?

Zunächst wird nun die Machbarkeitsstudie fertiggestellt. Die EKT AG wird dann in den nächsten Wochen auf Liegenschaftsbesitzer, Hausverwaltungen und Ankerkunden zugehen, um deren Interesse abzuklären und entsprechende Absichtserklärungen einzuholen. Im Frühjahr 2023 werden sowohl der Verwaltungsrat der EKT AG als auch die Versammlungen der Gemeinde und der Bürgergemeinde über ihre Beteiligung an einer Betreibergesellschaft entscheiden. Die Zustimmung aller Beteiligten vorausgesetzt, könnten anschliessend die Wärmeverbund Gottlieben AG (Arbeitstitel) gegründet und das Ausführungsprojekt gestartet (Projektierung Technikzentrale, Verteilnetz usw.) und Energieliefer-Vorverträge mit den Kunden abgeschlossen werden. Wenn alles rund läuft, würde 2024 mit dem Bau begonnen werden und auf die Heizperiode 2025/26 könnten die angeschlossenen Liegenschaften mit Wärme aus dem Seerhein versorgt werden. Allfällig notwendige Übergangslösungen sind möglich, müssten aber im Einzelfall geklärt werden.

Wer Interesse an einem Anschluss an den Wärmeverbund hat und nicht sicher ist, dass dieses Interesse dem Projektteam bereits bekannt ist, kann sich gerne per Email an info@gottlieben.ch wenden.

Fotos: M. Bächer

(Foto 3) Zufriedene Gesichter bei den Projektbeteiligten: Gemeindepräsident Paul Keller sowie Geschäftsführer Andreas Koch vom KEEST (Kompetenz-Zentrum Erneuerbare Energie-Systeme Thurgau), das mit der Machbarkeitsstudie betraut wurde.