Blog von M. Baechli

«Die schönste Nische der Literatur» ist in Gottlieben

«Die schönste Nische der Literatur» unter diesem sinnigen Motto steht das 25-Jahr-Jubiläum des Literaturhauses Thurgau im Bodmanhaus, das am Samstag, 26. April mit einem ebenso würdigen wie stimmigen Festakt in der voll besetzten Kirche gefeiert wurde. Die grosse Anzahl der Gäste aus der näheren und ferneren Umgebung zeigte, welche grosse Strahlkraft diese Nische in den letzten 25 Jahren entwickelt hat, welche Wertschätzung ihr entgegen gebracht wird und welche breite Unterstützung sie geniesst.

Wie Lorenz Zubler, der Präsident des Thurgauischen Bodman-Stiftung, in seiner Begrüssung erklärte, stammt die Bezeichnung «Die schönste Nische der Literatur» von Marion Regenscheit, der Leiterin des Festivals Buch Basel, die das Bodmanhaus bei einem Besuch so nannte. Diese Worte brächten zwei nur scheinbar divergierende Eigenschaften dieses Hauses zusammen, «die uns zu Bescheidenheit mahnen, aber auch mit Stolz erfüllen, weil sie gerade dessen Qualität ausmachen. Das Bodmanhaus ist eine Nische der Literatur – aber es ist eben die schönste – oder wohl eine der schönsten der Literatur», so Lorenz Zubler. Und weiter: Die Gegend hier sei aus deutscher wie aus schweizerischer Sicht Peripherie, das Bodmanhaus demzufolge eine Nische in einer Randregion. Aber auch Nischen könnten Strahlkraft haben, wie Lorenz Zubler mit einigen Zahlen belegte. Im Bodmanhaus haben seit der Eröffnung im Jahr 2000 500 Veranstaltungen stattgefunden, es haben hier über 400 Autorinnen und Autoren gelesen und über 40 Personen haben in der Gästewohnung einige Monate als Stipendiatinnen und Stipendiaten gelebt und gearbeitet.

Grosse Wertschätzung und breite Unterstützung

Die Gäste, die Lorenz Zubler zum Festakt namentlich begrüssen konnte, waren Ausdruck der grossen Wertschätzung und der breiten Unterstützung, die dieser einzigartigen Einrichtung entgegen gebracht wird: Regierungsrätin Denise Neuweiler, Chefin des Departementes für Erziehung und Kultur, Nationalrätin Nina Schläfli, auch als Stiftungsrätin der Thurgauer Kulturstiftung, Gemeinderat Manfred Hensler als Vertreter der Stadt Konstanz, Gemeindepräsident Paul Keller sowie die Gemeinderäte Bruno Schärer und Thomas Schürpf für die Politische Gemeinde, Alice Wittich für die Bürgergemeinde Gottlieben, Margrit Künzi für die Gemeinde Tägerwilen, die ehemalige Regierungsrätin Monika Knill, Graf Wilderich von und zu Bodman als Vertreter der Bodmanschen Familienstiftung (die das Haus damals kostenlos in die Thurgauische Bodman-Stiftung eingebracht hat), Hansjörg Höhener als Präsident der kantonalen Kulturkommission, Vertreter der «Schwesterorganisationen» wie des Forums Allmende, des Literarischen Forums Oberschwaben und der Literarischen Vereinigung Winterthur.

Lorenz Zubler schloss seine Begrüssung mit den Worten, es seien viele Menschen, die mit ihrem Engagement und ihrer Grosszügigkeit zum Erfolg des Literaturhauses Thurgau im Bodmanhaus beigetragen hätten und beitrügen. Und wörtlich: «Wir blicken mit Dankbarkeit und Freude auf die letzten 25 Jahre zurück und mit Freude und Zuversicht in die Zukunft, auf dass die schönste Nische der Literatur ihre Strahkraft noch lange behalten möge.»

Eine mutige und wegweisend Idee

Es sei eine mutige Idee gewesen, als Dr. Robert Holzach 1996 den Vorsatz fasste, das dringend sanierungsbedürftige Bodmanhaus instand zu stellen und der Literatur zu widmen, stellte Denise Neuweiler, Chefin des Departementes für Erziehung und Kultur, in ihrem Grusswort fest. Dies zumal es damals in der Schweiz noch keine Literaturhäuser gab. Heute, nach 25 Jahren, wüssten wir, dass die Idee nicht nur mutig, sondern auch richtig und wegweisend war. Literatur besitze die Kraft, Grenzen zu überwinden, nicht nur physische Barrieren, sondern auch in unseren Köpfen, indem sie uns ermöglicht, andere Perspektiven einzunehmen und in neue Erfahrungswelten einzutauchen. Literatur sei somit eine Brücke, die unterschiedliche Lebenswelten verbindet, was in der heutigen Zeit besonders wichtig sei. «Dem Bodmanhaus ist es in den zurückliegenden 25 Jahren auf beeindruckende Weise gelungen, diesen Möglichkeiten und Potentialen der Literatur einen ebenso sympathischen wie einzigartigen Rahmen für ihre Entfaltung zu bieten», so Denise Neuweiler.

Bücher sind Orte

Der aus Weinfelden stammende, heute in Winterthur lebende Autor Peter Stamm setzte sich in seiner wunderbaren Festrede tiefgründig mit diesem Rahmen auseinander, mit Gottlieben, mit dem Bodmanhaus, einem Ort, den er aus eigener Erfahrung gut kennt. Fast ein halbes Jahr habe er in der Schreibwohnung inzwischen verbracht. Vor allem während der Corona-Pandemie sei sie die Rettung gewesen für ihn.

«Bücher sind Orte» ist seine Festrede betitelt, die in der Jubiläumspublikation des Literaturhauses Thurgau nachgelesen werden kann. Darin setzt er sich auch ganz grundsätzlich auseinander mit der Beziehung zwischen Schreiben bzw. Lesen und Ort. «Texte erschaffen Orte in uns», sagt Peter Stamm da, und meint damit, dass jeder Ort beim Lesen in unseren Köpfen zu einem Bild wird. Und weiter: «Wenn ich schreibe oder lese, sind mein Geist und mein Körper an verschiedenen Orten». Aber die Grenze zwischen Schreibort und beschriebenem Ort sei durchlässig. Denn: «Der Ort, an dem ich schreibe, prägt den Text, der an ihm entsteht.» Neben dem Wetter, der Tages- und der Jahreszeit, der Temperatur und der Beleuchtung sei es vor allem die Aura, die Atmosphäre, die Stimmung, aber auch die Geschichte eines Ortes, die das Schreiben beeinflussten, ja prägten. Er werde wohl nie eine Geschichte schreiben, die in Gottlieben spielt, schon gar nicht, wenn er hier sei. Denn beim Schreiben störe die reale Welt die Welt seiner Erinnerungen und Fantasien, wie er beim Schreiben seines ersten Romanes in Soglio erfahren musste.

Er könne sich nicht genau erklären, was das Bodmanhaus zu einem so besonderen Ort für ihn mache, sagt Peter Stamm, und fragt sich: «Dass es das Haus eines Schriftstellers war?» Seine Antwort: «Dass Bodman an sich zweifelte, sich täuschte, dass er mit sich und der Welt rang und oft scheiterte, schon zu Lebzeiten – und vielleicht zu Recht – vergessen ging und vereinsamte, vermutlich ist es gerade das, was mir ihn nahe bringt, was mir sein Haus so lieb macht».

Lorenz Zubler nahm den Faden und dankte Peter Stamm für seine Festrede mit den Worten: Eine Nische ist das Bodmanhaus «nicht nur, weil es klein und am Rand liegt, zu dieser Nische passt auch die Biografie von Emanuel von Bodman, der heute im literarischen Bewusstsein wirklich nur eine Nische ausfüllt. Und trotzdem oder vielleicht gerade deswegen entsteht in dieser Nische, an diesem Ort Literatur, die weit in die Welt hinausstrahlt, wie Sie uns sehr eindrücklich gezeigt haben».

Ehrung für Marie-Louise Holzach

Zum Schluss des Festaktes erinnerte Stiftungsratspräsident Lorenz Zubler nochmals daran, dass wir das Literaturhaus im Bodmanhaus Dr. Robert Holzach zu verdanken haben. In Anerkennung seiner Verdienste wurde er zum Ehrenbürger von Gottlieben ernannt. Nach dem Tod ihres Mann sei seine Frau, Marie-Louise Holzach, seinem Werk und dem Bodmanhaus auf spezielle Weise verbunden geblieben, hätte es gehegt, gepflegt und fortgeführt, einerseits ideell, aber ausserordentlich grosszügig auch materiell. «Dass das, was Ihr Mann mit der Bodman-Stiftung gegründet und auf den Weg gebracht hat, weiter gediehen und erfolgreich geblieben ist, daran haben Sie einen grossen Anteil», so Lorenz Zubler. Als Anerkennung und Dank verlieh er Marie-Louise Holzach mit der Übergabe einer schön gestalteten Urkunde die mehr als verdiente Ehrenmitgliedschaft der Thurgauischen Bodman-Stiftung.

Fotos: M. Baecher